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Pilgern

Die Chemnitzer Jakobspilger und Tomáš Najbrt gestalteten anläßlich des Jakobustages 2014 in der Stadt- und Marktkirche St. Jakobi eine Vesper mit Musik.
Die persönlichen Worte zum Pilgern, vorgetragen von unserer Pilgerin Bettina Mehl, euch allen zur Kenntnis:                                                                 Chemnitz, 24.07.2014

"Wir sind alle Pilger, die  auf verschiedenen Wegen einem gemeinsamen Treffpunkt zuwandern." Antoine de Saint-Exupery
Wir, die "Chemnitzer Jakobspilger", waren oder sind auf dem Weg, auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela.
Ich möchte stellvertretend für unsere Gemeinschaft einige persönliche Worte zum "Pilgern" sagen.
Diesen stelle ich ein Gedicht voran, das unser Pilgerfreund , Siegfried Bayer, ausgesucht hat. Er wollte gemeinsam mit mir über unsere Pilgersehnsüchte und -erfahrungen sprechen. Leider hatte er  vor einigen Tagen einen Verkehrsunfall. Zum Glück befinden er und seine Frau sich auf dem Weg der Besserung. Wir wünschenden beiden von hier aus alles erdenklich Gute, damit sie schnell wieder gesund werden. 
Gedicht von Elisabeth Alfrink:
Nach Santiago wollte ich gehen,
Darum bin ich aufgebrochen,
aufgebrochen von zuhause.
Mit Muschel, Hut und Stab,
wie Jakobspilger gehen.

Santiago habe ich erreicht,
doch die Sehnsucht bleibt,
Sie wächst und wächst,
sie treibt mich weiter.

So bleibe ich auf dem Weg,
mit Jakobus an meiner Seite.
Unterwegs zu unser aller Ziel,
in die ewige Heimat.
Siegfried Bayer ist bereits 5 mal in Santiago gewesen. Doch die Sehnsucht bleibt. 
Ich bin noch auf dem Weg nach Santiago - auch mich treibt die Sehnsucht: 
         - die Sehnsucht nach Freiheit,
nach Unabhängigkeit,
nach Ursprünglichkeit und Einfachheit,
nach Ruhe und Besinnung,
nach Naturerfahrungen und Mitmenschlichkeit,
nach Spiritualität.
Der Sehnsucht nach Freiheit nachgeben heißt, einfach los zu gehen, Grenzen überschreiten (Ländergrenzen, eigene Grenzen). 
Ich möchte unabhängig sein - jetzt bin ich mal nur für mich da. Ich allein entscheide meinen Tagesrhythmus - wann ich gehe, wie schnell ich laufe, wie lange ich verweile, wenn mir ein Ort gefällt. 
Beim Pilgern kehre ich zur Einfachheit und Ursprünglichkeit zurück  - ich bin glücklich, wenn ich etwas zu essen und zu trinken und ein Dach über dem Kopf habe - ich kann alles, was ich für meinen Körper brauche, auf dem Rücken tragen. Alles andere ist Luxus und Ballast zugleich. Je mehr man besitzt, desto mehr Zeit und Geld braucht man, um es zu erhalten.
Und ich brauche Zeit, um mein Leben zu reflektieren. Diese Zeit gibt mir der Jakobsweg. Ich bin viele Stunden mit mir allein. Meine Vergangenheit drängt sich immer wieder in meine Gedanken. Plötzlich kann ich - mit dem Abstand von vielen Jahren - verzeihen. Und ich werde dankbar - ich darf nach Spanien gehen (ohne Grenzbeschränkung) - ich kann es mir finanziell leisten und ich bin gesundheitlich in der Lage, diese Strecke zu gehen.
Ich suche und finde Ruhe und Besinnung. Ich habe Ruhe vor den sonst im Alltag auf mich einstürzenden Problemen und ich besinne mich endlich wieder auf mein Handeln. Ein Beispiel - auf dem Weg von Nürnberg nach Ulm - kaufte ich bei einem ortsansässigen Gärtner Süßkirschen. Ich fragte ihn, ob diese abgewaschen wären. Als Antwort zeigte er auf seine Bewässerungsanlage- ich könne die Kirschen dort waschen. Als ich den Wasserhahn aufdrehte -schoss es mir plötzlich durch den Kopf - Ist das wirklich Trinkwasser?  Das ist doch eine Verschwendung mit Trinkwasser Felder zu gießen! Ja, es war Trinkwasser und bis zu diesem Moment war mir nicht bewusst, wie verschwenderisch wir mit diesem kostbaren Gut umgehen. Ich bin erst dort zur Besinnung gekommen.
Der Pilger auf dem Jakobsweg lässt sich verwandeln.
Als Pilger läuft man den ganzen Tag durch die Natur. Der Geist wird frei, der Körper auch - die Nase nimmt wieder die Blütendüfte wahr. Der Himmel wird beobachtet, wie die Wolkenbildung aussieht. Man möchte ja nicht jeden Regenguss mitnehmen. Feldraine und Alleen werden schmerzlich vermisst. Ohne Bäume und Sträucher brennt die Sonne unbarmherzig und auch dem Regen ist man schutzlos ausgeliefert. Früher hatten diese Gehölze eine wichtige Schutzfunktion, heute sitzen wir im Auto und schalten die Klimaanlage an und kommen nicht zur Besinnung.
Jeden Tag begegnen wir anderen Menschen. Und viele empfangen uns mit offenen Herzen. Sobald sie die Jakobsmuschel, das Zeichen der Jakobspilger, sehen, sprechen sie uns an. In Ravensburg schenkte mir eine Frau, der ich auf der Straße begegnete, einen kleinen Engel aus Stein - aus Freude und Anteilnahme, dass ich gepilgert bin.
In der Schweiz, in Rapperswil, sprach mich auf dem Marktplatz ein älterer Herr an und bat mich in Santiago "ein Vaterunser" für ihn zu beten.
Und die Pilger sind wie eine große Familie - die Deutschen sprechen sich mit "Du" an - da ist man sofort vertraut. Auch mit anderen Nationen ist man schnell beim Austausch von Worten und Gesten. Die soziale Stellung, das Einkommen und das Alter sind völlig egal und wir haben alle das gleiche Ziel - und das verbindet. Manchmal entwickeln sich aus solchen Begegnungen über Ländergrenzen hinweg Freundschaften - der beste Weg, um Frieden zu erhalten.

Der Jakobsweg ist auch ein spiritueller Weg. Spiritualität bedeutet ja Geistigkeit im weitesten Sinne.
Der Jakobsweg lehrt uns Begegnungen, die wir - je nach Weltbild - für uns erfahrbar machen. Ganz gleich, ob wir gläubig sind oder nicht, wir werden doch angeregt, über Gott oder wie wir es auch nennen möchten, nachzudenken, nachzufühlen. Man erlebt viele Situationen, in denen man denkt, das kann doch jetzt kein Zufall sein.
Wer pilgern geht, läuft auf einem vor bezeichneten Weg. Es werden verehrungswürdige Orte aufgesucht. Es gibt alte, einfache Kirchen, die eine unbeschreibliche Magie ausstrahlen, die jeder Mensch spüren kann - z.B. die Kirche in Amsoldingen in der Schweiz - ein Kraftort, der schon lange vor den Römern eine heilige Stätte war.
Wir Pilger sind nicht nur auf dem Weg nach Santiago, sondern auch immer auf dem Weg zu uns selbst. Beim Pilgern lernt man wieder auf sein "Bauchgefühl" zu hören.
Unsere Sehnsucht sucht einen Ort im Diesseits. Und den können wir nicht finden. Deshalb sind wir zeitlebens unterwegs zu uns selbst, zu  anderen Menschen, zu Gott.
Unser ganzes Leben ist eine Pilgerreise - weite Strecken müssen wir allein gehen, wir wissen nicht, was auf uns zukommt - aber wir sind gezwungen weiter zu gehen, weiter zu leben. Und wenn wir diesen Abschnitt bewältigt haben, haben wir Mut und Kraft gewonnen für die nächste Etappe.
Der Pilger kommt innerlich und äußerlich gestärkt vom Weg zurück. Er hat die Schwierigkeiten des Weges überwunden, selbst, wenn er sein ursprüngliches Ziel nicht erreicht. Bis zum Ende seiner Reise hat er plötzlich auftretende Schwierigkeiten gemeistert und ist immer weiter vorangekommen.
Wir Pilger lernen unserer eigenen Kraft zu vertrauen, die Hilfe anderer anzunehmen und selbst Unterstützung zu geben. Und wir lernen Frieden mit uns selbst zu schließen. All das brauchen wir auch für unser alltägliches Leben.
Für uns Pilger ist der Jakobsweg eine Quelle, aus der wir Lebenserfahrung, Mut, Kraft, Zuversicht und Glauben schöpfen - für ein gelingendes Leben.
Wir sind dankbar für das Glück und die Freude, die wir erleben dürfen.
Und wenn ich jetzt ein wenig Pilgersehnsucht in Ihnen geweckt habe, dann gehen Sie doch einfach mal ein Stück des Weges. Hier vor der Jakobikirche weist die Muschel den Weg in Richtung Stadtpark - Wasserschloß Klaffenbach nach Santiago. 
Buen Camino - Guten Weg.



Pilgern…das Wort klingt eigentlich altmodisch, die Situation des Unterwegsseins aber ist hochaktuell.
Pilgern hat Tradition, seit Jahrhunderten folgen Menschen Pilgerpfaden. Das Pilgern kennen wir aus allen Religionen und Kulturen in allen Teilen der Welt zu allen Zeiten.
Es gibt inzwischen viele Gründe  zu pilgern - doch was die Pilger auf ihrem Weg erfahren, ist irgendwann auf der Route bei allen gleich:
Auf einer Pilgerreise trifft man auf Menschen aus aller Welt. Alter, soziale Stellung und Einkommen spielen auf einer Pilgerreise keine Rolle.Alle Pilger sind „gleich“, alle begeben sich auf „den Weg“. Alle schaffen das Selbe - die einen mit mehr, als „von A nach B“ zu gehen.mehr, die andern mit weniger Schmerzen und Blessuren. 
Die einen haben ein Gelübde abgelegt oder begeben sich in eine „persönliche Auszeit“, andere suchen die sportliche Herausforderung, wieder andere ein Abenteuer, weiß man doch morgens oft nicht, in welcher Pilgerunterkunft man abends landet.
Pilgern macht den Kopf frei, man kann vom Alltag abschalten, das stärkt und gibt Kraft. Pilgern bedeutet aber auch körperliche Anstrengung – und darauf sollte man ebenso wie auf die „tiefen“ persönlichen Erfahrungen nicht unvorbereitet sein! Machen auch Sie sich auf den Weg und begeben Sie sich „auf die Spuren der Pilger und Wallfahrer“. Nehmen Sie die Natur wieder bewusst wahr, erleben Sie in aller Ruhe die kulturellen Kleinode entlang Ihres Weges und entdecken Sie vor allem wieder ein Stück von sich selbst.

Pilgern hat Zukunft! Wer sich heute auf den Weg macht, neue Perspektiven und Sichtweisen zu finden, sucht die Begegnung mit Menschen, Kultur, Natur und Brauchtum.

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